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Urteilskommentierungen


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Schadensersatz/Naturalrestitution trotz Veräußerung der Sache/Abtretung

BGH, Urteil vom 4. Mai 2001 - V ZR 435/99 (Kammergericht)

BGB § 249 Satz 2

Wird das Eigentum an einem beschädigten Grundstück übertragen, so erlischt der Anspruch aus § 249 Satz 2 BGB auf Zahlung des zur Herstellung erforderlichen Geldbetrags nicht, wenn er spätestens mit Wirksamwerden der Eigentumsübertragung an den Erwerber des Grundstücks abgetreten wird (teilweise Aufgabe von BGHZ 81, 385, 392).


Problemstellung:

Die Kl. erwarben 1997 ein Haus, das einige Zeit zuvor durch Arbeiten auf dem Nachbargrundstück beschädigt worden war. Es zeigten sich umfangreiche Setzungsrisse. Ein Sachverständigengutachten bezifferte die Reparaturkosten auf knapp 500.000,00 DM. Etwaige Schadensersatzansprüche gegen die - jetzt bekl. - Baufirmen trat der Verkäufer an die Kl. ab. Diese verlangen nun Ersatz der Reparaturkosten.

Das KG hat die Klage abgewiesen. Mit Übereignung des Grundstücks sei der Anspruch des Verkäufers auf Naturalrestitution nach § 249 Satz 1 BGB gemäß der Rechtsprechung des Revisionssenats untergegangen. Denn der Verkäufer könne die mit diesem Anspruch geschützte Integrität des beschädigten Gegenstandes aufgrund der Veräußerung nicht mehr herstellen. Daher sei die Abtretung mangels Schadens ins Leere gegangen. Ein Schadensersatzanspruch aus § 251 Abs. 1 BGB, der abtretbar gewesen wäre, sei nicht geltend gemacht worden.

Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen; er gab hierzu seine bisher vertretene Rechtsprechung, auf die sich das KG berufen hatte, teilweise auf.


Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

Schadensersatzansprüche, die auf die Reparatur einer beschädigten Sache oder den entsprechenden Geldbetrag zielen, sind Ansprüche aus § 249 BGB auf Naturalrestitution. Der V. Zivilsenat des BGH bekräftigt seine auch innerhalb des BGH stark umstrittene Auffassung, daß diese Schadensersatzansprüche - anders als solche nach § 251 BGB - das Herstellungsinteresse des Eigentümers schützen und daher prinzipiell untergehen, wenn die beschädigte Sache vor der Durchsetzung des Anspruches veräußert wird. Denn nach Veräußerung könne der Voreigentümer die Integrität der beschädigten Sache nicht mehr herstellen - dies könne nur noch der neue Eigentümer. Früher vertrat der Senat die Auffassung, eine Abtretung dieses Anspruches sei daher im Falle der Veräußerung unmöglich. Diese Ansicht gibt er nun ausdrücklich auf und meint, daß wenn der Eigentümer den Anspruch spätestens mit der Veräußerung des Gegenstandes an den Erwerber abtrete, das Herstellungsinteresse des (neuen) Eigentümers erhalten bleibe und der Anspruch auf Naturalrestitution nicht untergehe. Infolgedessen könne im vorliegenden Fall der Grundstückskäufer Schadensersatz auf Reparaturkostenbasis verlangen.


Kommentierung

Die Entscheidung bedeutet eine Annäherung der divergierenden Rechtsprechung des V. Senats einerseits und des VI. Senates des BGH andererseits zum Verhältnis der Schadensersatzansprüche aus § 249 und 251 BGB. Der mit dem Schadensersatz bei KFZ-Unfällen befaßte VI. Senat geht in st. Rspr. davon aus, daß ein Geschädigter auch dann noch Ersatz der Reparaturkosten verlangen kann, wenn er das KFZ bereits veräußert hat. Dies gilt auch dann, wenn der Verkäufer hierbei ein Geschäft macht, indem er einen Preis erzielt, der zuzüglich der Reparaturkosten den Wert des KFZ vor der Beschädigung übersteigt. Diese Aufffassung teilt der im vorliegenden Fall entscheidende V. Senat ausdrücklich weiterhin nicht. Er nähert sich der Rechtsprechung des VI. Senates jedoch insoweit an, als er nunmehr eine Abtretung des Schadensersatzanspruches an den Käufer zuläßt.

Die vorsichtige Korrektur der Rechtsprechung des V. Senates ist zu begrüßen, führt aber nicht zur gewünschten und dem BGH aufgegebenen Rechtsklarheit und -einheitlichkeit. Eine Vorlage an den Großen Senat wäre wünschenswert gewesen. Der divergierende VI. Senat (grundlegend schon: BGHZ 66, 239) stellt entgegen der Rspr. des V. Senates die Dispositionsfreiheit des Geschädigten in den Vordergrund. Es ist allgemein anerkannt, daß der Geschädigte einen einmal vereinnahmten Geldbetrag nicht zur Reparatur der Sache verwenden muß. Er kann den beschädigten Gegenstand auch unrepariert verkaufen und das Geld behalten, selbst wenn er dabei „Gewinn macht“. Dann ist aber nicht einzusehen, weshalb bei einem Verkauf vor Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs etwas anderes gelten soll - wie der V. Senat nach wie vor meint. Somit käme es auf zeitliche Zufälligkeiten an, was kein hinreichendes Differenzierungskriterium für eine unterschieliche Sachbehandlung darstellt. Dies zeigt, daß eine Lösung von Begrifflichkeiten und die Anwendung des normativen Schadensbegriffs erforderlich ist, um die offene Streitfrage zu klären. Verkauft der Geschädigte den unreparierten Gegenstand - ohne Abtretung der Schadensersatzforderung - zu einem Preis, der für ihn günstig ist, weil er nach Erhalt des Schadensersatzes mehr als den Zeitwert des Gegenstandes bekommt, ist dies seinem kaufmännischen Geschick zu verdanken. Es gibt keinen Grund, den - ohnehin nicht schutzwürdigen - Schädiger von diesem Umstand profitieren zu lassen, der mit dem schädigenden Ereignis nichts zu tun hat. Daher sind die gesetzgeberischen Bestrebungen (enthalten in dem im September 2001 vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurfs eines 2. Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, BT-Drucks. 14/7752), diese unzutreffend „fiktive Herstellungskosten“ genannten Schäden nur noch eingeschränkt zu ersetzen, ein Systembruch und rechtspolitisch verfehlt.

Die Schuldrechtsreform ändert an dem bestehenden Rechtszustand allerdings nichts, so daß die Frage, ob Schadensersatz auf Reparaturkostenbasis nach Veräußerung des beschädigten Gegenstandes möglich ist oder nicht, leider nach wie vor davon abhängt, welcher Senat beim BGH über diese Frage entscheidet.

Rechtsanwalt Matthias Winkler, Berlin