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Kraftfahrtversicherung/Aufklärungsobliegenheit/falsche Angaben des Versicherungsnehmers/Leistungsfreiheit des Versicherers

BGH, Urteil vom 05. Dezember 2001 - IV ZR 225/00 (OLG Brandenburg)

VVG § 6 Abs. 3, AVB f. Kraftfahrtvers. (AKB) § 7 I (2) Satz 3, V (4)

Hat der Versicherungsnehmer seine Aufklärungsobliegenheit durch vorsätzlich falsche Angaben verletzt, kann der Versicherer sich nach Treu und Glauben gleichwohl nicht auf Leistungsfreiheit berufen, sofern der Versicherungsnehmer den wahren Sachverhalt freiwillig vollständig und unmißverständlich offenbart und nichts verschleiert oder zurückhält und dem Versicherer durch die falschen Angaben noch kein Nachteil entstanden ist.


Problemstellung:

Der Kl., ein Gebrauchtwagenhändler, verlangt von der Bekl. als Kaskoversicherer Ersatz des Wiederbeschaffungswertes in Höhe von 54.200,00 DM für einen als von seinem Firmengelände gestohlen gemeldeten PKW.

Bei der Schadensanzeige vom 19. September 1997 gab der Kl. auf die Frage nach der Gesamtkilometerleistung “ca. 85.000” an, obwohl dies nur dem Stand des Kilometerzählers entsprach, die Gesamtfahrleistung dagegen etwa doppelt so hoch war. Eine Woche zuvor hatte der Kl. in einem Kaufvertrag über den PKW, der infolge des Diebstahls nicht abgewickelt wurde, zwischen diesen beiden Werten ausdrücklich unterschieden. Außerdem verneinte er in der Schadensanzeige die Frage, ob Vorschäden vorlägen, obwohl er das Fahrzeug von einer Leasingfirma in verwahrlostem Zustand erworben und angeblich mit einem Aufwand von über 50.000,00 DM instand gesetzt hatte. Im Oktober 1997 bearbeitete die Bekl. erstmals den Fall und übersandte dem Kl. einen Fragebogen, den er wiederum zumindest unvollständig beantwortete, indem er auf die Frage nach den Vorschäden angab “nicht bekannt, siehe DAT”, das DAT-Gutachten, aus dem sich die Vorschäden ergaben, jedoch nicht beifügte. Erst nach mehreren Erinnerungen durch die Bekl. übersandte der Kl. das Gutachten und andere Belege, aus denen sich der richtige Sachverhalt ergab. Die Bekl. berief sich deshalb auf Leistungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 3 VVG iVm § 7 I (2) Satz 3, V (4) AVB f. Kraftfahrvers. (AKB). Denn der Kl. habe seine nach dem Versicherungsfall entstandene Obliegenheit umfassender Aufklärung verletzt.

Der Kl. erhob daraufhin Zahlungsklage und begründete seinen Anspruch damit, daß er die zunächst falschen Angaben später berichtigt habe. Hiermit hatte er vor dem OLG Erfolg. Der BGH hob das Berufungsurteil jedoch auf und wies die Klage ab.


Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

Der BGH stellt zunächst fest, daß der Kl. durch die falschen Angaben seine gemäß § 7 I (2) Satz 3, V (4) AVB f. Kraftfahrvers. (AKB) bestehende Obliegenheit verletzt habe, was gemäß § 6 Abs. 3 VVG zur Leistungsfreiheit führen könne. Diese Obliegenheitsverletzung führe dazu, daß der Vorsatz gem. § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG gesetzlich vermutet werde. Eine Widerlegung der Vorsatzvermutung sei dem Kl. nach dem Sachverhalt nicht gelungen. Die falschen Angaben seien auch “generell geeignet, die berechtigten Interessen des Versicherers in ernster Weise zu gefährden. (...) Sie können dazu führen, daß eine den Wert des Fahrzeugs übersteigende Entschädigung gezahlt wird. Bei einer so erheblichen Abweichung zwischen den Angaben des Versicherungsnehmers und der Wirklichkeit wie im vorliegenden Fall liegt auch ein erhebliches Verschulden auf der Hand.” Damit stünden auch die Grundsätze der sog. Relevanzrechtsprechung des Senates der Leistungsfreiheit nicht entgegen. Diese läßt bei folgenloser Verletzung der Aufklärungspflicht die Berufung auf die Leistungsfreiheit nur zu, wenn der Verstoß generell geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden und den Versicherungsnehmer der Vorwurf groben Verschuldens trifft. Grobes Verschulde liege jedoch vor.

Fraglich sei damit allein, ob sich der Versicherer gleichwohl aufgrund der nachträglichen Berichtigung der Falschangaben nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) auf die Leistungsfreiheit nicht berufen könne, da “der Zweck der Aufklärungsobliegenheit durch die Berichtigung der falschen Angaben letztlich doch erreicht ist. Die Bestimmungen über die Aufklärungsobliegenheiten tragen dem Gedanken Rechnung, daß der Versicherer, um sachgemäße Entschlüsse fassen zu können, sich darauf verlassen muß, daß der Versicherungsnehmer von sich aus richtige und lückenlose Angaben über den Versicherungsfall macht und daß der drohende Verlust seines Anspruchs geeignet ist, ihn zu wahrheitsgemäßen und vollständigen Angaben anzuhalten (...). Diesem Zweck der Aufklärungsobliegenheit entspricht es nicht, wenn es dem Versicherungsnehmer von vornherein abgeschnitten wäre, die Sanktion der Leistungsfreiheit durch eine Korrektur seiner Angaben zu vermeiden. Das wirtschaftliche Interesse des Versicherers an richtigen Angaben besteht fort, solange ihm durch die falschen Angaben noch kein Nachteil, etwa durch Verlust von Aufklärungsmöglichkeiten, entstanden und ihm die Unrichtigkeit noch nicht aufgefallen ist. Der Versicherungsnehmer, der die Vermögensinteressen des Versicherers durch falsche Angaben bereits gefährdet hat, kann dem drohenden Anspruchsverlust aber nur dann entgehen, wenn er dem Versicherer den wahren Sachverhalt aus eigenem Antrieb vollständig und unmißverständlich offenbart und nichts verschleiert oder zurückhält. Daß dies geschehen ist, hat er darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (...). Kann nicht ausgeschlossen werden, daß die falschen Angaben bereits zu einem Nachteil für den Versicherer geführt haben oder nicht freiwillig berichtigt worden sind, bleibt es bei der Leistungsfreiheit.” Im vorliegenden Fall habe der Kl. nicht freiwillig und von sich aus sondern erst auf mehrfache Nachfrage die fehlenden Unterlagen eingereicht und so seine Falschangaben berichtigt. Dies genüge nicht, um der Bekl. die Berufung auf ihre Leistungsfreiheit nach Treu und Glauben zu versagen.


Kommentierung:

Das Urteil klärt zumindest zum Teil die bislang offene Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Leistungsfreiheit wegen vorsätzlicher Verletzung der Aufklärungsobliegenheit durch nachträgliches Verhalten des Versicherungsnehmers wegfällt. Der BGH beantwortet die Frage nicht pauschal sondern betont, daß es hierbei auf die konkrete Fallgestaltung ankomme und zumindest zwischen den Fallgruppen Nachholen fehlender Angaben zu gestellten Fragen, Ergänzung unvollständiger Angaben, Nachreichen von Unterlagen und Berichtigung falscher Angaben unterschieden werden müsse. Lediglich für die letzte Fallgruppe stellt der Senat die aus dem Leitsatz ersichtlichen Grundsätze auf. Wann eine Berichtigung selbst vorsätzlich falscher Angaben dem Versicherungsnehmer seinen Anspruch auf die Versicherungsleistung wiederherstellt, leitet er dabei aus dem Sinn und Zweck der Vorschriften über die Aufklärungsobliegenheiten her. Einerseits eröffnet er im Interesse der Versicherung die Möglichkeit nachträglicher Richtigstellung, andererseits stellt er jedoch hierfür strenge Anforderungen auf. Bereits die bloße Möglichkeit eines für die Versicherung eingetretenen Nachteils oder die nicht freiwillig erfolgte Berichtigung nehmen einer Berichtigung ihre Wirkung. Insbesondere die erste Einschränkung wird nicht besonders motivierend wirken, Berichtigungen tatsächlich vorzunehmen. Denn ob für die Versicherung schon ein Nachteil eingetreten ist oder nicht, ist aus Sicht des Versicherungsnehmers kaum zu beurteilen. Da es sich bei der Behauptung einer nachträglichen Berichtigung rechtssystematisch um einen Einwand des Versicherungsnehmers (Treu und Glauben) handelt, ist es allerdings dogmatisch vertretbar, diesem das Risiko dafür aufzuerlegen, daß der Versicherung noch kein Nachteil entstanden ist.

Rechtsanwalt Matthias Winkler, Berlin