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Geschäftsführung ohne Auftrag/Fremdgeschäftsführungswille/ Aufwendungsersatz/ Erschließung durch Straßenanlieger

BGH, Urteil vom 8. November 2001 - III ZR 294/00 (OLG Jena)

BGB §§ 677, 683, 670

Zur Frage eines anteiligen Kostenerstattungsanspruchs aus Geschäftsführung ohne Auftrag, wenn ein Straßenanlieger der Gemeinde gegenüber die Herstellung einer Erschließungsanlage übernommen hat, durch die zugleich Grundstückszufahrten für weitere Anlieger geschaffen werden (Abgrenzung zu BGHZ 61, 359 = NJW 1974, 96).


Problemstellung:

Der Kl. und drei benachbarte Straßenanlieger planten zur besseren Erschließung ihrer Betriebe (zwei Autohäuser, Tankstelle und Baumarkt) die Anlegung einer neuen Straßenkreuzung mit Anschluß aller Unternehmen. In einer Besprechung mit der erschließungspflichtigen Kommune einigten sich die Parteien darauf, daß die Stadt 10% der Erschließungskosten tragen soll, und die restlichen Kosten in Höhe von etwa 770.000,00 DM unter den vier Anliegern aufgeteilt werden. In einer weiteren Besprechung verständigten sich die vier Eigentümer darauf, daß der Kläger und ein Anlieger der gegenüberliegenden Straßenseite die Erschließung durchführen, jeweils zunächst 45% der Kosten übernehmen und sich dann mit dem auf ihrer Straßenseite befindlichen weiteren Anlieger über die Aufteilung einigen. An dieser Besprechung nahm auch der Bekl. teil, welcher der zweite Anlieger auf der Straßenseite des Kl. ist. Eine Einigung des Kl. mit dem Bekl. über die von ihm zu übernehmenden Kosten scheiterte. Der Kl. und das für die andere Straßenseite zuständige Unternehmen schlossen den Erschließungsvertrag mit der Stadt und stellten die Anlage her. Der Bekl. weigert sich, mehr als 100.000,00 DM anteiliger Erschließungskosten an den Kl. zu zahlen. Mit der Klage auf Zahlung weiterer 62.593,56 DM scheiterte der Kl. vor den Instanzgerichten. Der BGH hob die Entscheidung des OLG auf und verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück.


Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

Der BGH vertritt die Auffassung, der Kl. könne vom Bekl. Ersatz anteiliger Erschließungskosten aus Geschäftsführung ohne Auftrag verlangen. Der Anspruch sei gegeben, weil der Kl. die Erschließung auch als solche des bekl. Anliegers durchgeführt habe, “also in dem Bewußtsein und mit dem Willen, zumindest auch im Interesse eines anderen zu handeln”. Die Erschließung sei kein objektiv auch-fremdes Geschäft des anderen Anliegers, sondern der Kommune, da diese nach dem Gesetz für die Erschließung zuständig sei. Daher könne der Fremdgeschäftsführungswille des Kl. für den Bekl. nicht vermutet werden. Fehle eine solche Vermutung, sei nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden, ob ein Fremdgeschäftführungswille vorliege. Alle Anlieger hätten hier durch die Teilnahme an de Besprechungen auf die konkrete Gestaltung der Erschließungsmaßnahme Einfluß genommen, wobei zum Ausdruck gekommen sei, daß alle zu den Kosten herangezogenwürden; nur die Höhe der Beiträge sei umstritten gewesen. Das lege die Würdigung nahe, daß der Abschluß des Erschließungsvertrages mit der Stadt auch “für” die anderen Anlieger der neuen Kreuzung erfolgte.

Ein früherer Fall (BGHZ 61, 359, 363), in dem derjenige, der gem. § 123 Abs. 3 BauGB einer Gemeinde gegenüber die Erschließung von Baugelände übernommen habe, vom Eigentümer eines zum Erschließungsgebiet gehörenden Grundstücks anteiligen Ersatz des Erschließungsaufwands weder aus Geschäftsführung ohne Auftrag noch aus ungerechtfertigter Bereicherung habe verlangen können, betreffe einen anderen Sachverhalt. In jenem Fall habe sich die “Beteiligung” der Grundstückseigenümer im Bauplanungsgebiet darin erschöpft. daß sie an der Erschließung des Geländes interessiert waren, weil sie damit in die Lage versetzt wurden, ihre Anwesen zu bebauen. Eine solche nur mittelbare Beziehung der Grundstückseigenümer zu einem Erschließungsvorhaben reiche nicht aus für die Annnahme, der Erschließungsträger habe auch ein zu ihrem Rechtskreis gehörendes Geschäft besorgt. Eine andere Beurteilung komme dagegen in Betracht, wenn - wie vorliegend - bestimmte Grundstückseigentümer als zukünftie Nutznießer der Erschließung konkret auf das Erschließungsvorhaben Einfluß nehmen und einzelne es letztlich aus Zweckmäßgkeitsgründen übernehmen, den maßgeblichen Erschließungsvertrag mit der Geminde abzuschließen. Da weitere Feststellungen erforderlich seien, müsse die Sache an das OLG zurückverwiesen werden.


Kommentierung

Die vorliegende Entscheidung bedeutet keine Änderung der Rechtsprechung. Für die Erschließung sind nicht die Anlieger sondern die Kommunen zuständig. Daher übernimmt ein privater Erschließungsträger mit dem Abschluß des öffentlich-rechtlichen Vertrages zwar ein objektiv fremdes Geschäft. Dies übernimmt er aber für die Gemeinde und nicht für die Anlieger, so daß insoweit eine GoA ausscheidet und auch ein Ersatzanspruch aus dieser Rechtsfigur gegenüber den Nachbarn. So hatte der BGH bereits in den 70er Jahren entschieden (BGHZ 61, 359) und dabei bleibt es, obwohl die Rechtsprechung ansonsten mit der Annahme einer GoA recht schnell bei der Hand ist und zurecht als “gefährlich weites Mittel des Lastenausgleichs aus Billigkeitsgründen” (Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 412) bezeichnet wird. Denn die Wertung, ob ein Fremdgeschäftsführungswille vorliegt, scheint sich zuweilen an der sehr subjektiven Beantwortung der Frage zu orientieren, ob es gerecht erscheint, dem Ausführenden einen Ersatzanspruch zuzubilligen. Die im Leitsatz zitierte Entscheidung BGHZ 61, 359 hatte sich dagegen zurückgehalten.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich zu diesem früheren Urteil zugrunde liegenden darin, daß alle Anlieger der Gemeinde die Erschließung abnehmen wollten. Das vom Kl. dem Bekl. abgenommene Geschäft war nicht die Erschließung selbst sondern die private Ausführung, die Eingehung einer Verpflichtung gegenüber der Gemeinde, für sie die Erschließung durchzuführen. Die Annahme eines Anspruchs aus GoA ist somit richtig.

Der Maßstab für den Ausgleichsanspruch soll nach Auffassung des Gerichts - wie bei ergänzender Vertragsauslegung - im Verhältnis der tatsächlichen Erschließungsvorteile gefunden werden - wie auch immer das bezifferbar sein soll. Wenn der Bekl. nur bereit war 100.000,00 DM zu zahlen und der Kl. dennoch ohne Einigung über die Kostenaufteilung die Erschließung durchführte, spricht einiges dafür, den Wert der Erschließung für den Kl. entsprechend hoch anzusetzen, so daß der Bekl. letztlich nichts mehr zu zahlen hat. Denn bis zur Einigung auf einen höheren Anteil wollte der Kl. offensichtlich aus wirtschaftlichen Gründen nicht warten. Ihm war die neue Kreuzung offensichtlich “mehr wert” als dem Bekl., denn sonst hätte er vor Abschluß des Vertrages mit der Gemeinde und vor Beginn der Ausführungsarbeiten eine Klärung über dessen Kostenbeteiligung herbeigeführt. Durch die Schuldrechtsmodernisierung ändert sich an alledem nichts.

Rechtsanwalt Matthias Winkler, Berlin