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Urteilskommentierungen


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Einstweilige Verfügung/Abwendung wesentlicher Nachteile/Weiterbenutzung einer vermieteten Sache nach Kündigung

OLG Brandenburg, Beschluß vom 13. Juli 2001 - 6 W 138/01 (LG Frankfurt/Oder)

BGB §§ 987 ff., ZPO § 940

Die - ungerechtfertigte - Weiterbenutzung einer Sache stellt keinen wesentlichen Nachteil dar, der eine einstweilige Verfügung auf Herausgabe der Sache rechtfertigt, und zwar auch dann nicht, wenn weiterer Verschleiß der Sache droht. Dies kann anders zu beurteilen sein, wenn die Sache nicht bestimmungsgemäß gebraucht wird oder durch die weitere Benutzung der Herausgabeanspruch des Gläubigers wirtschaftlich ausgehöhlt wird. (Leitsatz des Bearbeiters)


Problemstellung:

Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer Genossenschaft. Diese hatte der Antragsgegnerin einen Radlader vermietet. Der Antragsteller hat den Mietvertrag gekündigt und verlangt Herausgabe des Fahrzeugs. Die Antragsgegnerin beruft sich auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen angeblicher Gegenansprüche und nutzt den Radlader weiter. Hierauf beantragte der Insolvenzverwalter eine einstweilige Verfügung auf sofortige Herausgabe des Fahrzeugs. Durch die Weiterbenutzung und den hierdurch verursachten stetigen Verschleiß drohe ein erheblicher Nachteil in Form einer Substanzverschlecherterung bis zu einem erstinstanzlichen Urteil in der Hauptsache. Der Anragsteller unterlag vor dem LG und auch vor dem OLG.


Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

Das OLG vertritt die Auffassung, es bestehe kein Verfügungsgrund. Eine Herausgabe des Radladers sei nicht zur Abwendung wesentlicher Nachteile iSv § 940 ZPO erforderlich.

Ob die Weiterbenutzung eines verliehenen oder vermieteten Gegenstandes ein Nachteil sein könne, der zur sofortigen Abwendung den Erlaß einer einstweiligen Verfügung rechtfertige, sei zwar in der Rechtsprechung umstritten. Verschiedene Gerichte - darunter auch der 7. Zivilsenat des OLG Brandenburg; Urt.v. 14.3.2001, u. OLG Karlsrruhe, WM 1994, 1983 - verträten die Auffassung, die Verschlechterung von Zustand und Wert einer Sache durch ihre Weiterbenutzung stelle einen solchen wesentlichen Nachteil dar.

Der 6. Zivilsenat des OLG Brandenburg teilt diese Auffassung jedoch nicht, und schließt sich ausdrücklich der von anderen Gerichten vertretenen Gegenmeinung an (vgl. OLG Düsseldorf, MDR 1995, 634; OLG Dresden, MDR 1998, 305). Das Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung schütze nur vor besonderen Nachteilen einer Erfüllungsverweigerung. Allgemeine Nachteile, die durch rechtsuntreues Verhalten verursacht würden, rechtfertigten eine einstweilige Anordnung nicht. „Nur dann, wenn der Herausgabeanspruch infolge Gebrauchs eine erhebliche Beeinträchtigung der Sachsubstanz so nachhaltig beeinträchtigt wird., daß der Herausgabeanspruch wirtschaftlich ausgehöhlt wird“, dem Anspruchsteller nur „die leere Hülle seines Eigentumsrechtes“ durch weiteren Gebrauch verbleibe, komme eine einstweilige Anordnung in Betracht.


Kommentierung

Die Entscheidung verstärkt die zu der entscheidungserheblichen Frage bestehende Rechtsunsicherheit, da hierzu nun sogar innerhalb des OLG Brandenburg unterschiedliche Meinungen vertreten werden.

Im Wesentlichen dürfte die hier vorliegende Entscheidung allerdings zutreffend sein. Die einstweilige Verfügung hat den Zweck, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Das Gewaltmonopol des Staates hat den Nachteil, daß Recht erst durch Ergreifung und Durchsetzung der vom Staat zur Verfügung gestellten Mittel zu erlangen ist. In der Zwischenzeit können aufgrund der besonderen Umstände eines Falles (verderbliche Ware, höchstpersönliche Rechtsgüter und dgl.) beim Gläubiger Nachteile eintreten, die bei Obsiegen in der Hauptsache nicht wieder gut zu machen sind oder ein solches Gewicht haben, daß ein Zuwarten nicht zumutbar ist. Hier hat der Staat die Rechtsgewährungspflicht, weitere Mittel zur Verfügung zu stellen, die die Rechte des Gläubigers vorläufig sichern - die einstweilige Verfügung.

Was unzumutbar oder nicht ausgleichbar ist, ist eine Wertungsfrage. Bloßer Verschleiß einer Sache aufgrund bestimmungsgemäßer Weiternutzung ist ein Nachteil, der wirtschaftlich ohne weiteres bei Obsiegen in der Hauptsache ausgeglichen werden kann, insbesondere durch Zusprechen einer Nutzungsentschädigung für diesen Zeitraum. Auch hat der Gläubiger durch die Vermietung gezeigt, daß er den Gebrauch durch Dritte (gegen Zahlung einer entsprechenden Geldsumme) grundsätzlich billigt. Sichert er seinen Herausgabeanspruch in Kenntnis der üblichen Prozeßdauer an deutschen Gerichten nicht ausreichend, etwa durch eine Vertragsstraferegelung oder die sofortige Unterwerfung des Mieters in die Zwangsvollstreckung, spricht auch dies gegen eine Eilbedürftigkeit. Daher ist in solchen Fällen ein Verfügungsgrund tatsächlich regelmäßig nicht gegeben, da ein im o.g. Sinn erheblicher Nachteil nicht droht.

Es ist daher auch fraglich, ob die vom Senat angenommene Ausnahme eines „wirtschaftlichen Aushöhlens des Herausgabeanspruches“ tatsächlich sinnvoll ist, zumal in der anschließenden Äußerung, dem Anspruchsteller dürfe nicht nur die „leere Hülle seines „Eigentumsrechts“ verbleiben, eine unklare Differenzierung eingeführt wird. Eigentum und Herausgabeanspruch sind nicht dasselbe. Worauf es nach der Entscheidung des OLG ankommen soll, um bei Verschleiß doch zu einem Verfügungsgrund zu kommen, bleibt daher unklar. Berücksichtigt man die Verfahrensdauer von Herausgabeklagen, die bei vier Instanzen fünf bis zehn Jahre betragen kann, dürften sehr viele Wirtschaftsgüter in Falle einer Weiterbenutzung bei Rechtskraft des Urteils tatsächlich nichts mehr wert sein. Dies würde nach der vorliegenden Entscheidung in solchen Fällen regelmäßig bedeuten, daß ein einstweilige Verfügung auf Herausgabe Erfolg hätte, obwohl dem Eigentümer ein ausgleichender Anspruch auf Nutzungsausfall zusteht. So käme man leicht zu einer Praxis, wie sie an den Verwaltungsgerichten gang und gäbe ist - das schnelle Eilverfahren ersetzt das langwierige Hauptverfahren.

Da dem Beschluß des 6. Zivilsenates des OLG Brandenburg im Grundsatz eher die entgegengesetzte Tendenz zu entnehmen ist, einstweilige Verfügungen auf die wirklich eilbedürftigen Fälle einzuschränken, wird diese Konsequenz aber vermutlich nicht gezogen werden. Die unklar formulierte Ausnahme wird nicht mehr sein als ein Mittel, um als zu restriktiv emfpundene erstinstanzliche Beschlüsse notfalls korrigieren zu können und im Einzelfall zu angemessenen Ergebnissen zu gelangen.

Rechtsanwalt Matthias Winkler, Berlin