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Schulnderverzug/Leistungstermin/Schwebende Unwirksamkeit

GH, Urteil vom 25. Oktober 2000 - VIII ZR 326/99 (OLG Naumburg)

BGB § 284 Abs. 2

Zur Anwendbarkeit des § 284 Abs. 2 BGB auf eine Leistung, für die durch einen genehmigungsbedürftigen Vertrag eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist.


Problemstellung:

Die Parteien kauften am 10.10.1991 von der THA Gesellschaftsanteile einer GmbH zum Preis von 3.925.000 DM, wobei die Verkäuferin den Vertrag durch einen vollmachtlosen Vertreter abschloß. Sie genehmigte den schwebend unwirksamen Vertrag am 5.11.1991. Der Kaufpreis war in zwei Teilbeträgen in 20 Banktagen bzw. 8 Wochen nach Beurkundung (8.11. und 5.12.1991) fällig. Die Parteien zahlten jedoch erst am 11.2.1992. Die Verkäuferin machte daraufhin erfolgreich Verzugszinsen von einem der Käufer geltend.

Im vorliegenden Prozeß verklagte dieser die Miterwerber im Innenverhältnis auf anteiligen Ersatz, da unter den Käufern ein Gesamtschuldverhältnis bestehe, das zum Ausgleich verpflichte. Die Bekl. verteidigten sich, Verzug hätte nicht vorgelegen und Zinsen seien daher nicht geschuldet. Eine Mahnung sei nicht erfolgt. Die Leistung sei nicht i.S.v. § 284 Abs. 2 BGB kalendermäßig bestimmt, da sie zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses von der - ungewissen - Genehmigung der Verkäuferin abhängig gewesen sei. Der Zeitpunkt der Leistungspflicht hätte daher von einem Ereignis abgehangen, das die Parteien nicht hätten festlegen können und nicht bestimmt gewesen sei. Dieser Sachverhalt sei nicht anders zu behandeln als diejenigen Fälle, in denen sich der kalendermäßige Zeitpunkt nur unter Anknüpfung an ein weiteres, nicht festleigendes Ereignis berechnen solle und in denen daher nicht von einer kalendermäßigen Bestimmung der Leistungszeit ausgegangen werden könne.

Das OLG hat der Klage stattgegeben. Der BGH bestätigte das Urteil.


Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

Der BGH teilt die Auffassung des OLG, daß Verzug auch ohne Mahnung vorgelegen habe, denn die Leistung sei kalendermäßig bestimmt i.S.v. § 284 Abs. 2 S. 1 BGB. Zwar sei dies nicht der Fall, wenn zu seiner kalendermäßigen Berechnung auf ein ungewisses, noch in der Zukunft liegendes Ereignis abgestellt wird (z.B. 60 Tage nach Rechnungsstellung). Im vorliegenden Fall hängt jedoch nicht die Berechnung des Leistungszeitpunktes, sondern das Wirksamwerden der Verpflichtung zur Leistung von einem noch ausstehenden Ereignis (Genehmigung) ab. Der von § 284 Abs. 2 Satz 1 BGB angestrebten dringenden Warnfunktion (...) genügt dies dann, wenn - wie hier - der von einem vollmachtlosen Vertreter abgeschlossene Vertrag vor Ablauf des im Vertrag bestimmten Leistungszeitpunktes vom vertretenen Gläubiger genehmigt wird. Anders als in den Fällen, in denen der Leistungszeitpunkt lediglich berechenbar, nicht aber kalendermäßig bestimmt ist, ist der Schuldner hinreichend gewarnt, weil er bei Abschluß des Vertrages den Leistungszeitpunkt kennt und damit rechnen muß, daß der Gläubiger den Zustand der schwebenden Unwirksamkeit innerhalb der Leistungsfrist beseitigt.

Außerdem sei zu berücksichtigen, daß der Schuldner den Schwebezustand durch eine Aufforderung nach § 177 Abs. 2 beseitigen könne. Schließlich habe er die mit dem Auftreten eines vollmachtlosen Vertreters entstehende Unsicherheit selbst hingenommen. Es sei ihm deshalb grundsätzlich auch zuzumuten, sich trotz des Schwebezustandes zum vertraglich bestimmten Leistungszeitpunkt leistungsbereit zu halten. Gehe die Genehmigung erst am letzten Tag ein, fehle es allenfalls am Verschulden, grundsätzlich sei dies aber kein Grund, Verzug in solchen Fällen auszuschließen.


Kommentierung

Das Urteil klärt eine bislang offene Frage und hat einige Bedeutung, da gerade in der notariellen Praxis schwebend unwirksame Verträge häufig vorkommen. Die meisten Argumente dafür, daß eine ausreichende Leistungsbestimmung in den Fällen der Unsicherheit über die Wirksamkeit der Leistungspflicht vorliegt, treffen jedoch auch auf die Fälle zu, in denen zur Berechnung der Leistungsfrist auf ein ungewisses Ereignis abgestellt und Verzug üblicherweise verneint wird. Auch bei der vom BGH zum Vergleich herangezogenen Klausel “60 Tage nach Rechnungstellung” ist der Schuldner gewarnt, daß der Gläubiger durch die Stellung der Rechnung alsbald die Ungewißheit klärt und er dann in der bestimmten Frist leisten muß. Auch in diesem Fall hat der Schuldner - durch Vereinbarung - die Ungewißheit selbst hingenommen. Der einzige Unterschied zu dem entschiedenen Fall, daß nicht die Berechnung der Frist sondern die Wirksamkeit des Vertrags ungewiß ist, besteht darin, daß der Schuldner die Ungewißheit im letzteren Fall selbst beseitigen kann. Aber auch dies ist kein besonders gutes Argument, da - wie bei der Mahnung - nach § 284 Abs. 2 Satz 2 BGB der Gläubiger durch einseitige Erklärung (Kündigung) die Verzugsfolgen herbeiführen kann und in diesen Fällen der Schuldner die Ungewißheit, wann die Verzugsfolgen eintreten, auch nicht beeinflussen kann und dennoch in Verzug gerät.

Leider besinnt sich der BGH nicht auf die historische Bedeutung von § 284 Abs. 2 S. 1 BGB, die lediglich darin besteht, die alte Streitfrage des gemeinen Rechts zu klären, ob es überhaupt möglich ist, daß eine Mahnung entbehrlich ist (daß also gilt: dies interpellat pro homine). Führt man sich diesen Zweck der Vorschrift vor Augen, ist nur wichtig, daß für den Schuldner nicht zu große Ungewißheit herrscht, sondern der entscheidende Tag der Fälligkeit nach dem Kalender bestimmbar ist, und zu große Strenge bei der Bestimmbarkeit fehl am Platz.. “Wenn der Wein flaschenreif ist” (Beispiel nach Endemann, Einführung in das Studium des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 5. Aufl. Berlin 1899, 1. Bd., S. 615, Fn. 10) reicht zwar nicht. Aber alles andere sollte zulässig sein, insbes. auch von ungewissen Handlungen des Gläubigers abhängige Zeitbestimmungen.

Die im Ergebnis richtige Entscheidung des BGH sollte auf die “bloße” Berechenbarkeit der Fälligkeit ausgedehnt werden (“60 Tage nach Rechnungsstellung”). Damit wäre eine größere Zahlungsbeschleunigung verbunden als mit dem weitgehend mißglückten “Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen”, das vor allem Zahlungsverzögerungen bewirkt und auch sonst viel Unheil arichtet (vgl. nur jüngst Kanzleiter und Sorge/Vollrath, DNotZ 2001, 165 u. 261, zu den Auswirkungen von § 632a BGB auf den Bauträgervertrag, die durch eine Reparaturverordnung BGBl. 2001 I S. 981 beseitigt werden mußten). Dieser bessere Rechtszustand wird nunmehr auch mit § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB-E der Schuldrechtsnovelle (BT-Drucks. 14/6040) angestrebt.

Rechtsanwalt Matthias Winkler, Berlin