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Schadensersatz/Schadensberechnung/zukünftige Vorteile/Beurteilungszeitpunkt

BGH, Urteil vom 2. April 2001 - II ZR 331/99 (OLG Naumburg)

BGB § 249

Zur Frage der Behandlung nach der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung entstehender Vorteile, die den Schaden mindern würden, bei der Schadensberechnung.


Problemstellung:

Der (Wider-)Beklagte vertrat eine Grundstücksgesellschaft. In dieser Eigenschaft verhandelte er mit potentiellen Mietern und erhielt von diesen im Jahr 1994 Mietvertragsangebote. Pflichtwidrig schloß er die Mietverträge jedoch nicht ab. Erst im Jahr 1997 vereinbarte er mit den gleichen Interessenten Mietverträge, die jedoch für die Vermieterin insgesamt wirtschaftlich ungünstigere Bedingungen enthielten. Erfolgreich verklagte die Vermieterin ihren Beauftragten auf Schadensersatz. Allein dessen Höhe war vor dem BGH noch umstritten. Der Bekl. meinte, bei einem Vergleich der Verträge ergebe sich ab Juli 2001, daß die tatsächlich abgeschlossenen Vereinbarungen günstiger seien als die, die 1994/1995 hätten abgeschlossen werden können. Diese Vorteile seien ihm schadensmindernd anzurechnen. Das OLG lehnte eine Einbeziehung solcher Vorteile ab.

Auf die Revision des Bekl. hat der BGH das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung zurückverwiesen.


Zusammenfassung der Entscheidungsgründe

Der BGH vertritt die Auffassung, daß «im Rahmen der Schadensberechnung vorteilhafte Umstände, die mit dem schädigenden Ereignis in einem qualifizierten Zusammenhang stehen, zu berücksichtigen (sind), soweit ihre Anrechnung dem Sinn und Zweck des Schadensersatzes entspricht und weder den Geschädigten unzumutbar belastet, noch den Schädiger unbillig entlastet (BGHZ 109, 380, 392). Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtung gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein (BGHZ 77, 151, 154; 91, 206, 210; 136, 52, 54 = NJ 1997, 669 Leits.), was voraussetzt, daß festgestellt wird, ob und gegebenenfalls welche einzelnen Vorteile sich bei wertender Betrachtung bestimmten Schadenspositionen zuordnen lassen.

Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Wären «die Vertragsangebote Ende 1994/Anf. 1995 für die Gesellschaft angenommen (worden), so hätten die im Jahre 1997 abgeschlossenen Verträge nicht vereinbart werden müssen. Das schädigende Ereignis war demnach im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet, einen Erfolg der eingetretenen Art herbeizuführen (BGH, Urt. v. 9. Oktober 1997 - III ZR 4/97, NJW 1998, 138, 140 m.w.N. = NJ 1998, 318 Leits.). Der damit zwischen dem Nichtzustandekommen der Verträge Anfang 1995 und dem Abschluß der Mietverträge im Jahre 1997 bestehende enge sachliche, persönliche und rechtliche Zusammenhang verbindet beide Vorgänge zu einer Rechnungseinheit und gebietet bei wertender Betrachtung eine Gesamtschau sämtlicher Vor- und Nachteile, welche die jeweiligen Verträge nach sich gezogen hätten oder haben. Die tatsächlich abgeschlossenen Verträge müssen daher (...) soweit entlasten, als sie für die Gesellschaft als Vermieterin Vorteile bringen.

Maßgeblich für die Schadensbemessung - und die Einbeziehung von Vorteilen - sei die letzte mündliche Tatsachenverhandlung. Allerdings müßten hierbei auch künftige Vorteile berücksichtigt werden, soweit diese feststehen oder für eine Schätzung nach § 287 ZPO eine ausreichende Grundlage vorhanden sei. Daher seien die kalkulierbaren Mietmehreinnahmen in den neuen Verträgen bis März 2002 dem Schädiger gutzuschreiben. Anders sei es für die Folgezeit. Ab April 2002 sei eine Anpassungsklausel anhand des Lebenshaltungsindexes vereinbart worden. Die Entwicklung der Lebenshaltungskosten sei nicht vorhersehbar und auch nicht schätzbar. Etwaige Vorteile in dieser Zeit könnten daher in die Schadensberechnung nicht eingestellt werden. Allerdings sei der Schädiger nicht schutzlos. Träten solche Vorteile vor Abschluß der Zwangsvollstreckung ein, könne er Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO erheben, treten sie nach Abschluß der Zwangsvollstreckung ein, sei ihm eine Bereicherungsklage nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB eröffnet (sog. verlängerte Vollstreckungsgegenklage). Es sei für den Umfang der Präklusion des § 767 Abs. 2 ZPO lediglich im Berufungsurteil klarzustellen, was bei der Schadensbemessung berücksichtigt worden sei und was nicht.


Kommentierung

Inwieweit zukünftige Vorteile bei der Schadensberechnung angerechnet werden müssen, ist im Einzelnen umstritten. Die Bedeutung des Urteils dürfte vor allem darin liegen, den Tatsachengerichten durch die Anwendung des § 287 ZPO auch für die Entstehung zukünftiger Vorteile freiere Hand bei der Schadensberechnung zu geben. Dies macht die Schadensberechnung zwar umfangreicher, ist aber prozeßökonomisch, da insoweit Vollstreckungsgegenklagen vermieden werden. Wann eine “Rechnungseinheit” vorliegt, ist nach wie vor wertend zu entscheiden und bedarf der Betrachtung im Einzelfall. Gleiches gilt für die Frage, ob genug Anhaltspunkte für eine Ermittlung oder Schätzung der Vorteile vorhanden sind.

Das Urteil wird auch in Zukunft Beachtung finden müssen. Die Rechtslage ändert sich durch die geplante Schuldrechtsreform nach dem derzeitigen Stand der Gesetzentwürfe nicht.

Rechtsanwalt Matthias Winkler, Berlin