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Werkmängel/Erfolgshaftung/Vorteilsausgleichung (Sowieso-Kosten)

BGH, Urteil vom 16. Juli 1998 - VII ZR 350/96 (OLG Rostock)

BGB §§ 631, 633

a) Der Auftraggeber schuldet im Rahmen der getroffenen Vereinbarung ein Werk, das die Beschaffenheit aufweist, die für den vertraglich vorausgesetzten oder gewöhnlichen Gebrauch erforderlich ist.

b) An dieser Erfolgshaftung ändert sich grundsätzlich nichts, wenn die Parteien eine bestimmte Ausführungsart vereinbart haben, mit der die geschuldete Funktionstauglichkeit des Werkes nicht erreicht werden kann.

c) Der für die bestimmte Ausführungsart vereinbarte Werklohn umfaßt, sofern die Kalkulation des Werklohnes nicht allein auf den Vorstellungen des Auftragnehmers beruht, nur diese Ausführungsart, so daß der Auftraggeber Zusatzarbeiten, die für den geschuldeten Erfolg erforderlich sind, gesondert vergüten muß.

d) Ist das Werk deshalb mangelhaft, weil der Auftragnehmer die vereinbarte Ausfühungsart ausgeführt hat, können die ihm zustehenden Zusatzvergügungen im Rahmen der Gewährleistung als “Sowieso-Kosten” berücksichtigt werden.


Problemstellung:

Die Bekl. wollten zwei ihnen gehörende Mehrfamilienhäuser umfassend sanieren. Hierzu schlossen sie mit dem Kl., einem Bauunternehmer, einen VOB/B-Vertrag, der u.a. detaillierte Angaben über die Ausführung der Decken- und Wandherstellung enthielt. Der Kl. führte die Arbeiten gemäß der Baubeschreibung aus. Die geltenden Schall- und Brandschutzvorschriften der DIN konnten so nicht eingehalten werden. Nach Abnahme des Werkes verlangt der Kl. Restwerklohn, die Bekl. halten das Werk für mangelhaft und verweigern ihre Leistung unter Berufung auf Gewährleistungsrechte.

LG und OLG haben der Werklohnklage stattgegeben. Das Werk sei nicht mangelhaft, da nach der Auslegung des Vertrages die maßgeblichen DIN-Vorschriften nicht eingehalten werden mußten. Der BGH sah dies anders, hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache an das OLG zurück.


Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

Nach Ansicht des BGH ist immer ein funktionstaugliches Werk geschuldet. Wenn eine Ausführungsart vereinbart werde, mit der dies nicht hergestellt werden könne, ändere sich an dieser sog. Erfolgshaftung nichts. Unabhängig davon seien vorbehaltlich abweichender Vereinbarung jedenfalls die anerkannten Regeln der Technik einzuhalten. Der Werkunternehmer habe im vorliegenden Fall von der Verwendung der Häuser als Miethäuser gewußt. Die Ausführung des Werkes entspreche nicht dieser Funktion. Zudem sei durch vertragliche Bezugnahme auf die VOB/B, die ihrerseits in den §§ 1 Nr. 1 Satz 2, 13 Nr. 7 Abs. 2 lit. b) auf die anerkannten Regeln der Technik verweise, die Einhaltung dieser Regeln vereinbart worden, denen hier die DIN 4102 und 4109 entsprächen. Zwar könne auch abweichend von der VOB/B ein Standard unterhalb dieser Regeln vereinbart werden, aber die Vereinbarung einer bestimmten Ausführungsart, die den anerkannten Regeln der Technik nicht genügt, reicht allein für eine derartige Auslegung nicht aus. Allerdings umfasse, da die Kosten nicht allein nach den Vorstellungen des Kl. kalkuliert worden seien, die vereinbarte Vergütung nur die vereinbarte Ausführungsart. Für die erforderlichen Zusatzarbeiten könne der Kl. eine zusätzliche Vergütung verlangen. Im Rahmen der Gewährleistung sei dies bei den “Sowieso-Kosten” zu berücksichtigen, d.h. die Bekl. müßten den Mehrpreis zahlen, der bei Vereinbarung der richtigen Ausführungsart ohnehin angefallen wäre.


Kommentierung:

Das Urteil bestätigt ein Grundsatzurteil des Senates aus dem Jahr 1984 (BGHZ 91, 206) sowie eine ganze Reihe von Prinzipien des Werkmängelrechts, die sich in st. Rspr. herausgebildet haben: Der Werkunternehmer schuldet als Erfolg ein mängelfreies, funktionstaugliches (zweckgerichtetes) Werk. Die entsprechenden Anforderungen sind vor allem durch Vertragsauslegung zu ermitteln. Ein Mangel in diesem Sinn kann sogar vorliegen, wenn die anerkannten Regeln der Technik eingehalten werden. Andererseits sind diese Regeln stets als Mindeststandard zu erfüllen (vgl. zuletzt BGH NJ 1998, 649 bearb. Winkler). Vereinbaren die Parteien eine bestimmte Ausführungsart, die den Anforderungen des vereinbarten Erfolges oder den Regeln der Technik nicht genügen können, ist das Werk bei Ausführung dieser Vereinbarung mangelhaft. Der Besteller kann dann Gewährleistung verlangen.

Hat der Unternehmer den Erfolg für einen bestimmten Preis versprochen (sog. Festpreisgarantie), muß er alle hieraus entstehende Kosten tragen. Sind bei der ursprünglichen Preisgestaltung dagegen auch Vorstellungen des Bestellers eingeflossen, erhält der Unternehmer eine Mehrvergütung. Diese berechnet sich nach der Differenz der Kosten zwischen vereinbarter (untauglicher) und richtiger Ausführungsart. Der Besteller muß also für die Erzielung des Erfolges dasjenige bezahlen, was es “sowieso” gekostet hätte (daher “Sowieso-Kosten”). Diese Lösung entspricht am ehesten den Interessen der Beteiligten. Dem Besteller kommt es in erster Linie auf die Tauglichkeit des Werkes und die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik an, nicht auf eine bestimmte Ausführungsart. Daher ist zum folgenreichen Abbedingen des Mindeststandards “anerkannte Regeln der Technik” auch mehr als die bloße Beschreibung einer abweichenden Ausführungsart zu fordern. Die Leistungsbeschreibung dürfte ohnehin vor allem der Kostenkalkulation und späteren Kontrolle der vereinbarungsgerechten Ausführung dienen. Da die Kosten somit entsprechend der Ausführungsart kalkuliert sind, müssen erforderliche Zusatzarbeiten auch zusätzlich vergütet werden, zumal wenn, wie in der Regel, ein Leistungsverzeichnis des Bestellers vorliegt, das dessen Architekt für die Ausschreibung des Auftrags erstellt hat. Dies entspricht der Wertung der VOB/B, die bei Auftragsänderungen oder anderen vergleichbaren Situationen ebenfalls eine zusätzliche Vergütung anordnet (vgl. § 2 Nrn 1, 5, 6 und insbesondere Nr. 8 Abs. 2 VOB/B bei eigenmächtigem aber notwendigem Abweichen des Unternehmers vom Auftrag). Nach der im o.g. Grundsatzurteil entwickelten Ansicht des BGH handelt es sich bei dieser Lösung um einen Fall der Vorteilsausgleichung. Dieser Begriff wird im vorliegenden Urteil zwar nicht mehr erwähnt, die Gründe sind jedoch insgesamt sehr knapp gehalten, so daß hierin keine Änderung der Begrifflichkeiten liegen muß. Allerdings handelt es sich bei Fallkonstellationen wie der vorliegenden tatsächlich eher um ergänzende Auslegung eines widersprüchlichen Vertrages als um Vorteilsausgleichung, die dem Schadensersatzrecht entstammt. Beide Rechtsfiguren werden aus § 242 BGB entwickelt und mit der “Billigkeit” begründet. Das Ergebnis dürfte daher von den gewählten Begriffen kaum abhängen.

Rechtsanwalt Matthias Winkler, Berlin