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Bereicherungsrecht/Saldotheorie/Darlegungs- und Beweislast

BGH, Urteil vom 10. Februar 1999 - VIII ZR 314/97 (OLG Rostock)

BGB § 818 Abs. 3

Zur Darlegungs- und Beweislast bei Anwendung der bereicherungsrechtlichen Saldotheorie.


Problemstellung:

Die Kl. erwarb von der Bekl. durch Kaufvertrag ein Unternehmen, bestehend aus Anlage- und Umlaufvermögen, belegen auf einem Grundstück, das den Parteien nicht gehörte, sowie Forderungen und Kassenbestand nach Maßgabe einer bestimmten Bilanz. Bedingung des Vertrages war, daß die Kl. das Grundstück von der Eigentümerin erwerben konnte. Dieser Erwerb scheiterte, so daß der Kaufvertrag rückabgewickelt werden mußte. Die Kl. verlangte infolgedessen von der Bekl. Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 85.000 DM Zug um Zug gegen Rückübereignung des Anlage- und Umlaufvermögens, Herausgabe des Kassenbestandes und Rückabtretung der Forderungen. In erster Instanz war sie erfolgreich. Das OLG wies die Klage dagegen ab, da es der Auffassung war, die Kl. hätte bei Berechnung ihrer Klageforderung die in der Zwischenzeit aus dem gekauften Unternehmen gezogenen Nutzungen abziehen müssen. Dem widersprach der BGH, hob das Urteil insoweit auf und wies die Sache zur erneuten Entscheidung an das OLG zurück.


Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

Der BGH teilt die Ansicht der Vorinstanzen, daß der Kl. dem Grunde nach ein Anspruch auf Rückabwicklung des Vertrages aus Bereicherungsrecht zusteht. Da es sich um die Rückabwicklung eines gegenseitigen Vertrages handelt, sei - wie ebenfalls bereits die Vorinstanzen angenommen hatten - dabei die sog. Saldotheorie anzuwenden, d.h. die einander gegenüberstehenden Bereicherungsansprüche seien nicht isoliert zu betrachten. Der Bereicherungsgläubiger dürfe nicht einfach seine erbrachte Leistung zurückverlangen sondern es müsse durch Vergleich der durch den Bereicherungsvorgang hervorgerufenen Vor- und Nachteile ... ermittelt (werden), für welchen Beteiligten sich ein Überschuß (Saldo) ergibt. Dieser Beteiligte ist Gläubiger eines einheitlichen, von vornherein durch Abzug der ihm zugeflossenen Vorteile beschränkten Bereicherungsanspruchs.

Seien Leistung und Gegenleistung ungleichartig (z.B.: Übereignung von Geld/Übereignung von Sachen, Abtretung von Forderungen) sei für den Abzug ausreichend, die Rückgewähr Zug um Zug zu verlangen (vgl. BGH WM 1995, 159). Soweit Leistung und Gegenleistung gleichartig seien, müsse dagegen ein direkter, summenmäßiger Abzug erfolgen. Dies gelte jedoch nicht, wenn für den Abzug von Gegenpositionen der Schuldner darlegungs- und beweispflichtig sei. Das folge aus der Erwägung, daß die Saldotheorie im Grunde nichts anderes sei als die folgerichtige Anwendung des in § 818 Abs. 3 BGB zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedankens auf gegenseitige Verträge. Für die Voraussetzungen einer Entreicherung trägt jedoch derjenige die Beweislast, der sie geltend macht. Daher konnte sich im vorliegenden Fall die Klägerin auf die Saldierung der erlangten Vermögenswerte selbst beschränken und der Zug-um-Zug-Antrag war ausreichend. Von der Kl. gezogene Nutzungen waren dagegen von der Bekl. vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, nicht aber vorweg von der Kl. abzuziehen.


Kommentierung:

Die Entscheidung zeigt, daß der BGH von den immer wieder neu vorgetragenen Angriffen der Literatur gegen die Saldotheorie oder deren Art der Anwendung durch das Gericht (vgl. u.a. Finkenauer, JuS 1998, 986 zu BGH WM 1995, 159 m.w.N.) unbeeindruckt bleibt. Seit der Leitentscheidung des Reichsgerichts im Jahre 1903 (RGZ 54, 137) ordnet die Rechtsprechung bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung gegenseitiger Verträge eine Gesamtabrechnung der gegenseitigen Ansprüche an und bezieht hierbei nicht nur Leistung und Gegenleistung sondern auch alle möglichen Nebenansprüche wie Nutzungen, Schadensersatz usw. ein. Selbst ungleichartige Leistungen werden saldiert, indem der Bereicherungsgläubiger seinem Klageantrag entgegenstehende Zurückbehaltungsrechte durch Stellung eines Zug-um-Zug-Antrages berücksichtigen muß, was der Anwalt der kl. Partei tunlichst beachten sollte.

Bei allem Streit um die Berechtigung der Saldotheorie im Allgemeinen sowie ihre methodische Herleitung und Anwendung im Besonderen ist die im vorliegenden Fall behandelte beweisrechtliche Komponente dabei eine Oase des Konsenses (Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, § 25 II). Schon vor langer Zeit hat der BGH erklärt, an der Beweislastverteilung dürfe durch diese Lehre nichts geändert werden (BGH WM 1955, 256) und 1989 für Leasingverträge bestätigt, daß der Kl. gezogene Nutzungen seinem Anspruch nicht vorab abziehen müsse (BGHZ 109, 139). Dies ist zutreffend. Denn richtig verstanden zieht die Saldotheorie nur die Konsequenz aus der Wertung, daß die in § 818 Abs. 3 BGB zum Ausdruck kommende Privilegierung des Entreicherten bei gegenseitigen Verträgen nicht gerechtfertigt ist bzw. sich das den Vertrag bestimmende Synallagma auch in der Rückabwicklung fortsetzen muß. Dann ist die Saldotheorie jedoch eine im vorliegenden Fall mangels Entreicherung überhaupt nicht einschlägige Ausnahme und die vom BGH gefundene Lösung nichts anderes als die konsequente Anwendung des die Herausgabe von Nutzungen regelnden § 818 Abs. 1 BGB im Rahmen zweier sich gegenüberstehender Kondiktionsansprüche. Mit der Saldotheorie hat das recht wenig zu tun, es sei denn, man versteht den Begriff im Sinne eines Konglomerats aller möglicher materieller und prozessualer Besonderheiten bei der Rückabwicklung von gegenseitigen Verträgen, wie es die Rechtsprechung im Rahmen ihrer Gesamtabrechnungslehre unternimmt.

Soweit übrigens die Bekl. im vorliegenden Fall die von der Kl. (Käuferin) aus dem Unternehmen in der Zwischenzeit gezogenen Nutzungen kaum darlegen sondern allenfalls schätzen kann, helfen ihr Beweiserleichterungen. Ist wie hier nach der Art des Gegenstandes (Unternehmen) zu vermuten, daß Nutzungen gezogen wurden, können bereits pauschale Behauptungen ausreichend sein, die dann von der Gegenseite substantiiert bestritten werden müssen, z.B. mit dem Argument, die übereigneten Sachen seien nicht tauglich oder der Betrieb nicht rentabel gewesen (vgl. BGHZ 109, 139). Die vorliegende Entscheidung zeigt somit, daß die Anwendung der Saldotheorie durch die Rechtsprechung gar keine besonderen Auswirkungen haben muß und auch, daß die Befürchtung Finkenauers (a.a.O.) unbegründet ist, die Rechtsprechung mache durch ihr Verlangen nach einer Gesamtabrechnung den Kläger zum Anwalt des Beklagten, da sie von ihm die Vorwegnahme von Einwänden verlange. Bis auf den Zug-um-Zug-Antrag ist dies nicht der Fall.


Literaturhinweis:

Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, §§ 17 III 3, 25 II; Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Aufl. 1988, S. 136ff.; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 224ff.; K. Schmidt, MDR 1973, S. 973, 978f..

Rechtsanwalt Matthias Winkler, Berlin